Bericht von Bernhard Dechant, 5.8.2015

Wir waren heute wieder vor dem Lager. Nach dem Aufnahmestopp fragen uns die ankommenden Leute, wo sie jetzt hinsollen und ob das Lager für immer geschlossen ist und ob sie jetzt wieder nach Ungarn müssen, wo sie geschlagen wurden. Ein Mann mit Familie sagt, dass er sich umbringt, bevor er nach Ungarn zurückgeht. Man hat dort in einem Flüchtlingslager seine Kinder geschlagen und 2 Tage von ihm getrennt. Während er erzählt, verlässt ein großer Müllwagen das Lager. „Wir machen sauber“ steht drauf: Amnesty International kommt morgen. 

Man erzählt uns, dass man stundenlang in der Sonne warten muss, um an Informationen zu kommen. Gestern wurden Leute aufgerufen, sie sollen sich anstellen, um die ersehnte weiße Karte zu erhalten, mit der man den Bezirk Baden verlassen darf. Ein Flüchtling aus dem Iran erzählt, dass er sechs Stunden in der Sonne in der Schlange stand, am Ende aber gar nicht mehr drankam. Das Warten in der Hitze macht so aggressiv, dass es in diesen Schlangen immer öfter zu Schlägereien kommt.

Die Menschen stecken ihre Handys an meinen Laptop an um sie aufzuladen, weil es für die Menschen, die im Freien schlafen und leben, kaum Möglichkeiten gibt, an Steckdosen zu kommen, um Handys aufzuladen. „Wir brauchen die Handys um zu kommunizieren, um uns nicht zu verlieren, genau wie ihr.“ Und ich denk dran, wie aufgeschmissen ich ohne mein Handy bin und denk an die absurde Debatte über Flüchtlinge mit Handys. Und warum in manchen Augen ein Mobiltelefon aus einem bemitleidenswerten Flüchtling einen flatscreenbesessenen Eindringling macht.

Einer sagt „Loud Loud“. Ich hab keine Ahnung was er meint und wir lachen. Frauen erzählen, dass sie gemeinsam mit den Männern duschen müssen. Die Lagerleitung schafft es nicht mal die Duschzeiten so zu regeln, dass Frauen ungestört duschen können. Eine hübsche junge Mutter sagt, sie habe sich seit einer Woche nicht mehr geduscht aus Scham. Dann fängt sie an zu weinen. Ich bin fassungslos. Da lächelt sie mich an, um mich wieder zu trösten.

Die Desorganisation von Seiten der Lagerleitung bewirkt, dass sich Banden bilden und ein Schwarzmarkt. Achmed, ein 25 Jähriger Student aus dem Iran sagt, das es hier bald wie in jedem Gefängnis mafiöse Strukturen geben wird. „Wenn man Menschen wie Tiere hält, dann werden sie zu Tieren.“ Seine Stimme zittert. Er spricht vier Sprachen und ist mit seiner Mutter da. Dann hilft er mir etwas am Laptop zu installieren und geht wieder ins Lager.

Mehrere Menschen bitten uns, einer schwangeren Frau im Lager zu helfen. Sie ist im 7. Monat. Wir tauschen Nummern aus. Sie versprechen uns, sie zu finden und uns dann anzurufen. „We try to Help „, sag ich immer wieder und hab eigentlich keine Ahnung, was ich dann machen kann, wenn wir die schwangere Frau finden und ob sie das Lager überhaupt verlassen kann.

Seit Wochen dürfen keine Hilfsorganisationen in dieses Lager, obwohl die Lagerverwaltung ganz offensichtlich komplett überfordert ist. Aber auf der Strasse vor dem Lagertor werden Kontakte und Freundschaften geschlossen. Familien brauchen Wasserkocher, um Babynahrung zuzubereiten. Menschen bringen Wasserkocher. Ärztinnen versorgen die Leute, die sich beim draußen Schlafen erkältet haben mit Hustentees und verteilen Mittel gegen die virulenten Pilzerkrankungen aufgrund der schlechten hygienischen Zustände.

Natürlich wäre es möglich, innerhalb weniger Tage die Misstände zu beseitigen, wenn man das wollte. Das Donauinselfest ist eine viel größere logistische Herausforderung und da wird jeder Komasäufer ärztlich versorgt. Wir haben einen Katastrophenschutz, Feuerwehren, Dutzende von Hilfsorganisationen.

Ärzte ohne Grenzen wollte ins Lager, wurde aber nicht hineingelassen.

Warum steht die Mikl-Leitner nicht vor diesem Tor und organisiert die Helfer, wo ist diese Task Force und warum stehen vor diesem verdammten Tor nicht wenigstens staatliche Dolmetscher, die den Leuten erklären, dass dieses Tor zur Hölle jetzt vorübergehend geschlossen ist und für wie lange und wo sie jetzt hinsollen?

Und doch bei aller Traurigkeit und bei aller Hilflosigkeit, die hier auf dieser Strasse, vor diesem Tor herrschen: Hier begegnen Menschen Menschen, helfen, reden, erzählen, lernen sich kennen.

Wir danken allen Flüchtlingen, die uns heute mit ihrem Lächeln unsere Scham über diese Bundesregierung genommen haben.

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